Endlich ist der Traum eines jeden in Erfüllung gegangen, der die Juden in Deutschland für fehl am Platze hält, sich aber bisher nicht getraut hat, das laut zu sagen. Man möchte ja bloß nicht politisch unkorrekt erscheinen oder sich gar mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert sehen. Aber das alles hat jetzt G*tt sei Dank endlich ein Ende. Jetzt kann man lustig auf die Juden und ihre ‘barbarische Religion’ eindreschen, ohne dass etwas passiert. Im Gegenteil, man wird auch noch als Verteidiger der “körperlichen Unversehrtheit von Kindern” gefeiert und bejubelt. Halleluja!

Es ist ein Alptraum, wie in dieser Debatte judenfeindliche Ressentiments hochgekocht werden. Schaut man sich in den sogenannten sozialen Netzwerken um, dann begegnen einem Meinungen, die direkt aus dem Stammbuch des Reichspropagandaministers abgeschrieben zu sein scheinen: “Soll der Jude (sic!) doch dahin gehen, wo er hergekommen ist”, oder, auch schön und sinnerhellend: “Broder und seinen Zionistenkumpanen geht’s endlich an den Kragen.”

Mal davon abgesehen, dass Juden in Deutschland länger existieren als die Deutschen, nämlich ungefähr seit 1700 Jahren, die Deutschen aber erst nach der Völkerwanderung tatsächlich Deutschland ausformten, mal abgesehen davon, dass es in den vergangenen 63 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland keinen ‘Schwanz’ interessiert hat, welche religiösen Rituale vollzogen oder nicht vollzogen werden, weiter abgesehen davon, dass wir hier von einem Land reden, in dem Kinderarmut immer weiter um sich greift und Kinder sogar, trotz des unfassbaren Reichtums, Hunger leiden müssen, Eltern die körperliche Züchtigung ihrer Kinder nicht verboten ist, Säuglinge und Kleinkinder in Mülltonnen und Blumenkästen entsorgt werden, niemand dafür bestraft wird, wenn er in Gegenwart von Kindern raucht, noch mal davon abgesehen, dass geistliche Würdenträger der christlichen Religionen sich über Jahrzehnte an Kindern vergriffen und mit lächerlich milden Strafen letztendlich davon gekommen sind, von alldem abgesehen, wird diese haarsträubende Debatte dazu missbraucht, Juden mal wieder als ‘Täter’ zu brandmarken. Dass man den Muslimen bei der Gelegenheit auch mal eins auf die Mütze geben kann, einfach mal so als Präventivmaßnahme, kann da nur willkommen sein. Und der angenehme Nebeneffekt dabei ist, dass muslimischer Antisemitismus mitgefördert wird, wie die Übergriffe auf einen Rabbiner und eine jüdische Mädchenklasse in Berlin zeigen.

Die Frage ist immer noch – warum mischt sich gerade jetzt ein säkulares Gericht in religiöse Belange ein, wo es genug andere Urteile zum Schutz von Kindern zu fällen gäbe. Welches Motiv steckt hinter dieser ‘Kampagne’, die polarisiert und Ethikkommissionen auf den Plan ruft?

Erstens, die Bundesrepublik Deutschland ist mit dem Beginn der Eurokrise zu einer Art Europapolizist avanciert, vielleicht nicht gewollt, aber schließlich hat man ja eine Verantwortung. Frau Bundesmerkel und der um die Existenz seiner Partei kämpfende Westerminister Aussenwelle drücken gerade Europa den deutschen Stempel auf, klar, denn wir, die deutschen Steuerzahler, finanzieren inzwischen den ganzen Laden von Lappland bis Zypern – zumindest ist das die Wahrnehmung an den Stammtischen zwischen Flensburg und Garmisch: Deutschland als Zahlmeister Europas. Ein wildgewordener, ungezügelter Neoliberalismus, Betrug und Täuschung bei der Eurokonstitution und –einführung und ihrer Verantwortung nicht mehr gerechtwerdende Banken, die sich wie ein Virus oder eben Heuschrecken gebärden und letztendlich der Handelskrieg zwischen Europa, Amerika und Asien um die Neuaufteilung der Welt, werden als Ursachen für die Krise verschwiegen.

Zweitens, die deutsche Multi-Kulti-Utopie der Integration in ihrer bisherigen Form ist unwiderruflich gescheitert. Die Gettoisierung greift in den Großstädten um sich, Immigranten verweigern sich zunehmend dieser Gesellschaft und bleiben unter sich, fundamentalistische Strömungen gewinnen mehr und mehr Einfluss in einer Zeit, in der Perspektivlosigkeit die einzige Konstante zu bleiben scheint.

Drittens, die globale Politik hat keine Lösungen für globale Probleme anzubieten – immer knapper werdende Ressourcen, Hunger, Klimakatastrophen und steigende Lebensmittelpreise, da der Westen über die Weltverhältnisse lebt. Politik wird zunehmend als Sklave der Ökonomie wahrgenommen, Politiker als korrupt und nur auf ihren Vorteil bedacht. Auch deutsche Politiker sind davon immer mehr betroffen, denn ihre Führungsrolle in der Welt scheint zu wachsen. Aber angesichts der kurz vor der Pleite stehenden Supermacht USA und dem Abdriften des russischen Bären in stalinistische, zaristische Verhältnisse und angesichts der sich immer mehr durchsetzenden, religiösen Despotien dieser Welt ist auch die deutsche Politik und sind die deutschen Politiker eindeutig überfordert und dieser Rolle nicht gewachsen. Die deutsche Politik hat auf ganzer Linie versagt.

Worauf kann man sich also noch besinnen? Welchen ideologischen Reflex kann man auslösen, von diesem Versagen abzulenken? Religion bietet sich an, aber es muss natürlich die richtige sein. An dieser Stelle sorgt man für ein bisschen Ablenkung und tritt eine Debatte los, deren Ziel es ist, die Juden, die sich ja gut als ‘Täter’ brandmarken lassen, das hat die Geschichte bewiesen, mal in ihre Schranken zu weisen. Und wenn sie aufmucken, erinnert man sie mal eben daran, dass sie grade ein paar U-Boote geschenkt gekriegt haben – auch das war eine Argumentation bei zahlreichen Diskussionen in dieser Debatte.

Dass die sogenannte ‘Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland’ mit diesem säkularen Urteil zur Disposition steht, muss den Richtern klar gewesen sein, wenn man ihnen einigermaßen Sachverstand unterstellt, oder vielleicht doch nicht? Ihnen muss bewusst gewesen sein, wenn nicht sogar bewusst ‘befohlen’ worden sein, mit diesem Feuer zu spielen. Die Politik nimmt diesen Brand als Geschenk gern entgegen, ob sie aber genügend Wasser zur Verfügung hat, das Feuer auch wieder einzudämmen, darf bezweifelt werden.

Fakt ist, dass durch das Urteil und die Debatte darüber wieder einmal jüdische Religion in Deutschland entwertet wird, und das im Namen von Aufklärung und Menschenwürde. Besonders perfide scheint dabei zu sein, dass jetzt jüdische Kinder vor den Juden beschützt werden können. Die braune Brut von NSU und diversem anderen Grobzeug wird sich darüber besonders freuen.

Um das klarzustellen – man kann das Ritual als überkommen empfinden, als unzeitgemäß, als brutal, natürlich, bitte, jedem seine Meinung, niemand wird gezwungen, unserer Religion anzugehören, der nicht hineingeboren wurde. Was man aber nicht kann, ist, unsere Verbindung zu G*tt, die in diesem ‘Bund’ einen unmittelbaren Ausdruck findet, mit einer Straftat gleichsetzen, ohne die gesamte Religion und damit unser Volk zu kriminalisieren. Als Jude und als Deutscher will ich nicht glauben, dass dies das Ziel war.

Nachtrag: Soeben meldet der rbb in seinem Info-Kanal, dass der Justizsenator von Berlin die Staatsanwälte angewiesen hat, Beschneidungen, sofern sie fachgerecht (jüdisches Krankenhaus beispielsweise) vorgenommen, die religiösen Hintergründe glaubhaft dargelegt werden und beide Elternteile einverstanden  sind, nicht strafrechtlich zu verfolgen – eine Regelung, mit der man leben kann. Ob der technische Vorgang durch entsprechende Gebete zum Ritus ‘erhoben’ wird, bleibt jedem selbst überlassen.