Wir fahren mit der Straßenbahn. Wir sitzen auch ab und zu im Kaffeehaus. Wenn man richtig hinschaut (und zuhört…), kann man uns sogar beim Wiener Schnitzel naschen erwischen. Beinahe echte Wiener sind wir schon geworden. Und neuerdings, man trifft uns sogar in der Synagoge. Jawohl, meine Damen und Herren: Die Wiener-Israelis haben das Judentum wieder entdeckt! Aber bevor wir einen feierlichen Kigel backen und die Gläser erheben, müssen wir noch einiges gestehen, ja uns sogar entschuldigen.

 

 

 

 

 

Wir bitten um Entschuldigung. Weil wir eure Synagogen ausgenützt haben. Wo könnten wir sonst noch im Ausland Hebräisch reden??? Denn andere Israelis, die man überall trifft, mit Arroganz zu ignorieren, ist einfach eine Tradition, mit der man nicht so leicht brechen kann. Besonders nicht, wenn wir uns jetzt als „Neo-Wiener“ bezeichnen wollen.

Wir haben uns bitter getäuscht. Besonders die Männer unter uns: Unsere Vergangenheit in der israelischen Armee, egal wie heldenhaft sie war (oder auch nicht), scheint nicht der Weg in die Herzen der jüdischen Frauen zu sein. Kraw Maga, M16 und sogar ein Pilotenschein reichen nicht mehr aus, um jeder Frau zu imponieren.Vielleicht haben da die Ex-Soldatinnen mehr Glück…

Wir bedauern. Weil wir eine lange Zeit das Judentum vernachlässigt haben. Erst jetzt verstehen wir wieviel Weisheit, Schönheit und Reichtum wir unser ganzes Leben einfach ignoriert haben. Dabei haben wir radikalen Gruppen eine Vollmacht überlassen, für uns zu entscheiden, was es bedeutet Jude zu sein, und wie man Judentum praktizieren soll. Und wir bedauern dies, weil wir in religiösen Diskussionen nicht sattelfest sind und nichts entgegnen können. So haben wir den Kampf um Bnei Barak, Beit Shemesh und Mea Schearim verloren. So verlieren wir auch unsere Zukunft als freie Israelis.

Wir müssen uns noch daran gewöhnen. Judentum als Lebensstil zu akzeptieren, ist keine leichte Aufgabe. Jetzt müssen wir alles, was wir zuerst vermieden und verleugnet haben, von Neuem kennenlernen. Nur simpel Israelis zu bleiben ist nicht genug, weil wir nicht mehr nur unser Land vertreten, sondern vielmehr: eine ganze Religion, ein ganzes Volk.

Wir bereuen. Weil wir hochnäsig dachten, dass Juden in der Disapora eh nicht israelisch genug sind. Ironischerweise ist es problematisch, dass wir es sogar unter uns, exilierten Israelis, immer noch nicht klären konnten, was eigentlich das „Israeli sein“ bedeutet. 20 Falafelbällchen in 30 Sekunden verspeisen vielleicht? Nein! Im Ausland leben? Das ganz bestimmt nicht!

Wir schämen uns. Weil wir dachten, dass Juden in der Diaspora keine Ahnung vom Leben unter Bedrohung haben. Leider brauchen wir immer wieder Tragödien, wie die in Toulouse, die uns daran erinnern, wie falsch wir damit liegen. Und dass unser Blut gleich ist.

Aber wir bedanken uns. Wir danken euch, Juden der Diaspora, dass ihr in Europa geblieben seid. Weil mit euch Jom Ha‘atzmaut feiern eine völlig andere Bedeutung bekommt. Weil wir nun stolz sagen können: In der Diaspora haben wir die Unabhängigkeit gewonnen für uns selbst zu entscheiden, welche Juden wir eigentlich sein wollen. Toda Raba!

Der Artikel wurde in der Mai 2012 Ausgabe von ‘WINA’ -  Das Jüdische Wiener Stadtmagazin veröffentlicht.